AlesSteger_DerHandschuh

Der Handschuh

Aleš Šteger, Juri Andruchowytsch
German Edition
Edition Thanhäuser, Ranitz Dialog, 2011
two prose pieces and a conversation between Šteger and Andruchowytsch
with 6 drawings by Christian Thanhäuser
77 Pages

ABOUT THE BOOK


A beautiful series of books, produced by hand, bringing central European writers into dialogue.

 

SAMPLE TEXT


Š: Als Ausgangspunkt unseres Gesprächs haben wir zwei Texte genommen, zwei, wie ich meine sehr unterschiedliche kürzere Texte, die sowohl formell als inhaltlich dafür representativ sein sollen, wass wir in der letzten Zeit geschrieben haben.

A: Wir könnten das Gespräch als eine Art vom Autorenkommentar oder sogar Autokommentar machen. Ich bin sehr, sehr stark beeindruckt und ich möchte sofort etwas fragen zur Orientierung in diesem Kontext: wann hast du Handschuh geschrieben und wie bist du an die Idee für diesen Text gekommen?

Š: Ich hatte einen langjährigen Wünsch, eine Wanderung zu machen. Aber irgendwie ging das lange Zeit nicht. Auch wegen der Verpflichtungen. Ich konnte mir einfach nie genügend viel Zeit am Stück frei nehmen.

A: Eine Wanderung in einer bestimmten Gegend?

Š: Ich wollte eigentlich zuerst eine Wanderung durch Slowenien machen.

A: So ein kleines Land und du hast noch keine Wanderung dort gemacht?

Š: Ich hatte schon Wanderungen gemacht. Aber bei uns geht man vor allem in die Berge und das sind eigentlich die Wanderungen, die man dann jenseits von den Dörfern und der Städten macht.

A: In der Natur …

Š: Ja, als neunzehnjährige bin ich zum Beispiel auch mit dem Fahrrad durch Slowenien gefahren, aber ich glaube, dass das Wandern einen besonderen Rhythmus gibt, es verlangsamt. Jetzt wollte ich aber ein sowohl ein politisches wie auch kulturelles Grenzgebiet abgehen, das war kurz bevor sich die Schengen-Grenze da verlagert hat.

A: Das war zwischen Ungarn und Kroatien?

Š: Ich wollte Gebiete des Verschwindens umgehen. Denn es sind meistens Gebiete, die literarisch viel zu blass  im slowenischen Gewissen verankert sind. Es handelt sich um Gegenden ohne fixe Narative, über sie weiss man vorallem dass man über sie  nichts zu wissen braucht und dass ist selbst verständlich falsch.

A: Sind diese Gegenden unexistent auch im slowenischen literarischen Gebiet?

Š: Ja, sowohl im slowenischen und kroatischen als auch im ungarischen. Nur die Grenze zu Österreich und  Italien wurde immer wieder nicht nur zu einem Politikum, sondern auch zu einem Poetcum gemacht. Ansosten scheint es dass Slowenien halbwegs vom literarischen Niemandsland umgeben ist, oft zu unrecht.

A: Und niemand erzählt darüber?

Š: Wenn schon, dann erzählt man über größere Städte, aber nicht von diesen ganz kleinen Ortschaften, die wirklich sehr wenig am Historischen bieten. Das sind eigentlich meißt die kleinen Dörfer. Es war natürlich auch die Strategie der Staaten nach dem ersten Weltkrieg, die Industrie und damit die Urbanisierung immer so wenig wie möglich im Grenzgebiet anzusiedeln. Triest war da eine Ausnahme, die aber 1914 schon da war und mit der man irgendwie umgehen musste.

A: Also das war auch in anderen Ländern so.

Š: Wo ich dann aufbrach um die Ausengrenzen Sloweniens abzugehen, habe ich nicht gewusst, wass mich wirklich erwartet. Man macht ja immer Riesenpläne im Kopf, erwartet große Erlebnisse … aber die Erfahrung war eigentlich ein Verschwinden hinter Stereotypen. Ein Verschwinden im eingenem Vorhaben, das am Ende zu einem Verschinden des Vorhabens selber führt. Man läuft und läuft eigentlich sehr viel – ich bin zehn Stunden pro Tag gelaufen, das heißt auch 40 und meh Kilometer täglich. Bei einer derartigen Wanderung ist man kein Flaneaur benjaminischer Prägung. Das Senzitorische, die Aufnehmefreude wird eher selber zu einer Funktion des Fortbewegens.

A: Die Dorfstraßen entlang?

Š: Die Dorfstraßen entlang und durch Wälder und manchmal durch Abgelegenes, oft ist das auch nicht möglich, weil viele Pfade zugewachsen sind. Die Erfahrung war eigentlich eine Erfahrung des Raunens, wo in den Kopf immer wieder obzessiv die gleichen Sätze kommen und das hat eigentlich nicht viel mit der Art der Strukturiertheit zu tun, wie sie eigentlich für die Literatur notwendig ist. Also, man ist so viel abgegangen, hält aber ganz wenig, ein paar Sätze, im Kopf, Sätze die mit den Bildern, die man unterwegs aufnimmt, nicht unbedingt viel zu tun haben, sich oft mit dem Ausen und dessen Bildern streiten. Aber manchmal gibt es Überdeckungen und dann entstehen kleine Bindegeschichen. So eine Bindegeschichte, die mir erst durch das Unterwegssein bewusst wurde, war die Geschichte des Handschuhes. Etwas Peripheres, jenseits aller Erwartungen. Ich hätte sonst zuvor nie näher über Handschuhe nachgedacht.

A: Kam das sofort? Schon als Bild?

Š: Ich hatte eine Kamera und fotografierte, und da fotografierte ich auch eben Sachen, die auf den Straßen oder am Straßenrand herumlagen.

A: Ja, das wollte ich auch fragen, die Fotos – sind das die Fotos von dir?

Š: Ja.

A: Ich habe übrigens gestern gehört, dass Orhan Pamuk überall alles fotografiert. Seine Veranstaltungen beginnen normalerweise mit dem Fotografieren des Publikums. Er kommt und macht Fotos. Der künstlerische Grund dafür ist, dass er, wie er erklärt, von Anfang an ein visueller Künstler sei, ein Maler, und er kann nicht schreiben, wenn er diese Situation nicht visuell bekommt. Er macht Fotos überall, tausende von Fotos und dann kann er schreiben, diese Fotos benutzend.

Š: Es gibt sehr viel Literatur, vorallem Prosa, die aus dem Medium der Fotografie ausgeht. Ich bin aber ein anderer Schriftstellertyp. Einige Schriftsteller setzen sich so, wie wir zwei dieses Gespräch führend, ans Fenster und blicken raus und können darüber, was sie draußen sehen, schreiben und die Fotografie ist eigentlich ein ähnliches Medium oder Schreibwehikel. Man sieht etwas und umschreibt es, manipuliert es, nöhrt sich davon. Bei mir ist es nicht anders, nur, dass ich mein Schreibmaterial zuvor irgendwie verlieren muss. Deshalb ist bei mir ein Blick auf eine weiße Wand viel produktiver als ein Blick nach draußen. Das hat, glaube ich, auch etwas mit dem Element des Verstummens zu tun, wo man den Faden zur Sprache verlieren muss, danach suchen und wenn man es findet, dann ist es ein anderer Faden, das Spiel ist anders zusammengewoben. Du kennst es bestimmt.

A: Ja, natürlich. Das ist, glaube ich, nur ein Zeugnis davon, dass du keine Kopie von dieser Wirklichkeit machst, sondern du schon etwas Eigenes schaffst. Der Verlust dieser Ganzheit, sagen wir, ist auch deine Befreiung davon, dann kannst du eine eigene Landschaft und deine eigene Zeitlichkeit schaffen.

Š: Als ich deinen Text las, musste ich sehr viel über  Entzeitlichen denken, du hast ja so viele Elemente, wo du eigentlich zeitgenössische popkulturelle Elemente mit historischen mischst und das bringt eine ganz neue Ebene, einen neuen Zeitraum. Ich finde, dass man diese Technik es auch als eine Brechung des literarisch Erzählerischen, eine Schwelle, die man in den Text einbaut, um vom Deskriptiven Abstand zu halten, verstehen kann.

A: Es war vor der Tagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Lemberg, als ich diesen Text geschrieben habe. Ich kann das ganz einfach erklären; man plante eine gemeinsame Lesung von Christian Ransmayr und mir, und ich wollte einen neuen Text präsentieren und dachte, ich mache jetzt so eine Art von Parodie oder so … er wird bestimmt aus Der letzten Welt lesen, weil Die letzte Welt sein einziger Roman ist, der auch ins Ukrainische übersetzt wurde, und so war es auch. Er las Ausschnitte aus Der letzten Welt und mein Text sollte natürlich irgendwie lustiger und leichtsinniger sein. Das ist mir nicht völlig gelungen und es war ein bisschen ernsthafter als ich erwartete. Aber das war auch meine Überraschung als ich Die letzte Welt zum zweiten Mal las. Ich habe erst dann bemerkt, dass ich auch so etwas schon Anfang 90er praktiziert habe. Ich meine diese Entzeitlichung, solche quasihistorische Prosa. Man muss das über die starke ukrainische belletristische Tradition erklären, besonders die ukrainisch-sowjetische Literatur, das war für alle eine der Lieblingsleküren. Das war eine Art von der Flucht der Schriftsteller aus dem sozialistischen Realismus. Die anderen Umstände, Mittelalter, Spätmittelalter, und Exotismus, Ungewöhnliches, Abenteuerliches, also das war eine Befreiung. Die historischen Romane wurden sehr geschätzt. Also das war das einzige, was man aus der damaligen ukrainischen Literatur las. Und Anfang 90er kommt die neue Epoche und es gibt schon keine Zensur mehr und ich spielte damals schon mit solchen Sachen. Also ich schreibe jetzt so etwas, was dieser naive Leser als eine historische Sache annimmt und dann plötzlich bemerkt, da gibt es im Mittelalter eine Telefonzelle zum Beispiel oder so was. Die Geschichte über Albert bleibt für mich eigentlich so eine Möglichkeit für ein künftiges Buch. Es soll aus den Geschichten bestehen, die sich auf realen Tatsachen basieren, in diesen Geschichten muss immer ein realer Protagonist sein, eine historische, oder halb historische Figur, die aber in Wirklichkeit lebte und es gibt solche objektiven Quellen, wo diese Figur von jemandem schon registriert wurde. So etwas wie Provokation, ein Versuch das altägliche triviale Verständnis von diesen Figuren zu hinterfragen und zu ändern.

Š: Also eine zumeißt nur fragmentarisch überlieferte reale Geschichte zu revidieren?

A: Und dazu braucht man wahrscheinlich auch diese Zeitverlierung, die sehr wichtig ist, weil wir gewöhnt sind, jede historische Figur in einem bestimmten historischen Kontext zu betrachten. Gleichzeitig aber machen wir unsere Einschätzungen aus unserer Zeit, aus unseren Verhältnissen. Immer diese neuen Ecken zu finden.